Ich habe mich mit einem Bäcker verabredet, um über die Bedürfnisse der Menschen und des Handwerks im Landkreis Wittenberg zu sprechen. Sonnabend halb zehn in Kemberg. Bäckermeister Axel Klinger hat den Hauptteil seines Tagwerkes schon geschafft. Die Auslage ist bereits leer gekauft und in der Backstube wird gewischt. „Guten Tag!“ sage ich, „Ich kandidiere als Landrat und möchte mich gern vorstellen!“
„Sven Paul? Zu welchem Paul gehören Sie?“ mustert er mich. „Der Namen meiner Frau. Aus dem Nordkreis. Grabo, Mochau, die Ecke.“ Diese Pauls kennt Axel Klinger nicht. Er ist unzufrieden. Nächste Frage: „Hm, haben Sie gedient?“ „Ja,“ antworte ich. „September 98 bis Juli 2000. Instandsetzung.“ Der Bäcker winkt ab. Er hätte gern über Artillerie und Volksarmee gesprochen. Geht auch nicht.
Es läuft etwas holprig an, aber Frau Klinger interveniert. Erst mal ein Stück Speckkuchen. Kaffee ist auch fertig. Die Teilchen sind lecker, der Speckkuchen mit reichlich Dill ist köstlich. Jetzt kann ich fragen: „Wie sieht es mit der Nachfolge aus?“ Schlecht. Von Aufgabe ist die Rede. Bäcker Klinger berichtet, von dem Verkaufswagen, der über die Dörfer fährt, obwohl es sich eigentlich nicht rechnet. Von Investitionen, für die er sehr, sehr viele Brötchen verkaufen musste, um sie wieder rein zu bekommen. Von Arbeit, die auch da ist, wenn der Körper nicht mit machen will und von Kunden, die aufs Brötchen warten, auch wenn der Anlasser vom Verkaufswagen streikt.
Handwerk ist Leidenschaft. Das würde Bäcker Klinger so wahrscheinlich nicht sagen, aber man kann es aus jedem seiner Sätze heraushören. Der Bäcker hat dieses Handwerk immer als Teil der Gemeinschaft betrieben und es schmerzt ihn, wenn er feststellen muss, dass diese Gemeinschaft an Zusammenhalt verliert. Er hat noch Kontakt zu seinem Zugführer, seinen Mitspielern aus dem Fußballverein. Er kennt seine Kundinnen und Kunden. Zusammen funktioniert es. Wenn dann mit dem Zollstock die Parkordnung kontrolliert wird, der Tratsch vorm Bäcker plötzlich als Ruhestörung gilt und eher aufs eigene Recht gepocht wird, als Rücksicht zu nehmen, dann funktioniert es nicht. Vielleicht, sage ich, sind weniger Regeln manchmal mehr. Mehr Selbstbestimmung, mehr Miteinander.
In der Backstube steht moderne Technik neben älteren Maschinen. Wie lange das Ensemble noch arbeitet, hängt davon ab, ob sich jemand findet, der die Arbeit machen will, die Axel Klinger viele Jahre gemacht hat. Mir schwant, dass Rückkehrertage und Imagebroschüren nicht reichen, um einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin zu finden, doch es lohnt sich, intensiver zu suchen, bzw. den Meister bei der Suche aktiv zu unterstützen. Denn was Axel Klinger da betreibt, ist mehr als ein Bäckerladen.