Soziales Jessen

Am Schwanenteich in Jessen ist Betrieb. Die Sonne hat sich an diesem Mittwoch vormittag kurz durch die Wolken geschoben und es wirkt, als hätte sie das Gelände zum Leben erweckt. Eine Schleifmaschine kreischt, ein Laubbesen kratzt über den Boden und ein Ziege meckert über Handwerker in ihrem Gehege. Das Gelände um den Schwanenteich gehört zum „Wir e.V.“, dem wohl größten Sozialprojekt von Jessen. Dessen Vorsitzende Marlies Mehr begrüßt mich auf dem Parkplatz. Für die 50m bis zum „Schnupperlädchen“ werden wir fast eine halbe Stunde brauchen. Es gibt viel zu erzählen.

Perspektiven für Beschäftigte, Erinnerungen für Ausflügler

„Die Menschen hier haben es nicht leicht.“ sagt Marlies Mehr. Die Arbeit im Tiergehege, im Kräutergarten, im Laden mit Kaffeebetrieb und auch der Veranstaltungsraum geben ihnen Beschäftigung, Struktur und Gemeinschaft. Der „Wir e.V.“ hat dafür gesorgt, in dem er sich immer wieder neue Projekte ausgedacht, Anträge geschrieben und Fördermittel besorgt. Gemeinsam schaffen sie etwas, was für die Jessener und auch manche Ausflügler ein Hingucker ist und eine schöne Erinnerung.

Meine erste Erinnerung heißt „Holunderblütengelee“. Meine zweite Erinnerung heißt „Herr Knochmuß“. Der streicht gerade die Palisaden im Ziegengehege und war der Grund für die Beschwerden der Ziege, die ich vorhin gehört habe. „Was bedeutet der Wir e.V. für Sie?“ frage ich. „Familie“ sagt er. Herr Knochmuß hat es aus der Obdachlosigkeit über viele Jahre in einen geregelten Alltag geschafft. Jetzt ist er in einem Programm mit einer Laufzeit von fünf Jahren beschäftigt. Er blinzelt zufrieden in die Sonne: „Hier bekomme ich Anerkennung und Spaß macht es auch.“

Die Vereinsvorsitzende erzählt, dass es manchen schwer fallen würde, sich auf den Verein einzulassen. Und manchmal sind sie nach Ablauf der Maßnahme auch wieder weg, selten jedoch in den ersten Arbeitsmarkt. Der Verein ist spezialisiert auf diese Art Beschäftigungsprogramme, aber eigentlich bräuchte es ein anderes Instrument, dass den Menschen hier eine Perspektive gibt.

Sozial bis unters Dach

„Ich zeige Ihnen noch unser anderes Haus in Jessen.“ sagt Frau Mehr und wir steigen ins Auto und fahren zu einer alten Poliklinik. Das riesige Objekt ist vom Keller bis unters Dach voll mit weiteren sozialen Projekten. Ein Mehrgenerationenhaus. Unten die Essensausgabe der Tafel und die Seniorenküche, oben Kostümverleih, Spielzeugtauschbörse, in der Mitte Sozialkaufhaus und Nähstube. Genauso vielfältig wie die Angebote sind die Sorgen, die Marlies Mehr plagen: Zu wenig Lebensmittel für die Tafel, zu wenig Einnahmen durch Corona. Es wird schwieriger Personal zu finden und Ehrenamtliche, die sich um das alles kümmern.

Die Arbeit des Wir e.V. ist beeindruckende Hilfe für Menschen, die Hilfe brauchen. Aber die Angst, dass dieses Konstrukt aus Ehrenamt, Förderprogrammen, Erlösen und Unterstützung der Stadt wie ein Kartenhaus zusammenbrechen könnte, steht Marlies Mehr ins Gesicht geschrieben. Es wäre eine Hilfe, wenn sie in der Kreisverwaltung einen festen Ansprechpartner hätte und auch mit dem neuen Landrat oder der neuen Landrätin einen kurzen Draht. Außerdem braucht der Verein mehr Unterstützung durch Ehrenamtliche. Wir überlegen. Vielleicht könnte Frau Mehr Neu-Jessener ansprechen, hier mit einzusteigen. Sie will es versuchen. Ich wünsche ihr und dem Wir e.V. viel Erfolg!

Ein Gedanke zu „Soziales Jessen“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert