160 Jahre alte Buchen stehen im Herzen der Dübener Heide im Süden des Landkreises Wittenberg. Sie ragen majestätisch mehr als 30 Meter in die Höhe. Zusammen mit den sanften Hügeln des Naturschutzgebietes waren sie ein Sehnsuchtsort. Franz Prinz zu Salm-Salm hat uns in den Wald gefahren und schwärmt: „Wenn wir Besuch bekamen, wollten die immer in den Märchenwald. Das war dann hier.“ Die Betonung liegt auf „war“.
Ich kenne diesen Wald aus Kindheitstagen. Meine Großeltern sind oft mit mir an den Ochsenkopf gefahren oder an den Lutherstein und von dort aus durch die Wälder gestreift. Es braucht diese märchenhaften Erinnerungen, um zu verstehen, was Franz zu Salm-Salm meint. Denn was in früheren Sommern wie ein Märchenwald ausgesehen hat, erinnert im April 2021 eher an eine Apokalypse. Was Sturm Xavier 2017 stehen gelassen hat, vertrocknet. Stümpfe und Totholz liegt am Boden. Riesenhafte Gespensterbäume ragen in den Himmel. „Kreuzgefährlich!“ warnt zu Salm-Salm. „Das kracht ohne Ankündigung runter.“ Wir steigen über graue Holztrümmer, den kalten Wind im Nacken.
Ganz klar: Waldkrisenstab
Franz Prinz zu Salm-Salm ist Waldbesitzer und wir stehen mitten in seinem Betrieb. Er kommt unprätentios daher. Man kann sich ihn als Franz Salm vorstellen. Ohne Prinz und von und zu. Als Waldmann. Ich habe ihn nach meinem Gespräch mit dem Leiter des Betreuungsforstamtes Annaburg gefragt, ob der Landkreis einen Waldkrisenstab braucht oder einen Waldchancenstab. Ob man Klimawandel und Käferbefall nicht nutzen könne, für einen Waldumbau, der auch neue Chancen birgt. Waldumbau betreibe er seit 25 Jahren, antwortet Prinz zu Salm-Salm, und was wir hier erleben sei eindeutig eine Krise. Deren Bewältigung werde den Waldbesitzern überlassen. Es gebe keine politische Führung, viel zu wenig Unterstützung. „Das muss jemand anpacken!“ sagt er an mich gerichtet.
Waldwirtschaft und Waldgefühl
Über ein Drittel der Fläche des Landkreises ist mit Wald bedeckt. Über 10.000 Waldbesitzer kümmern sich darum und leben auch davon. Franz Prinz zu Salm-Salm ist einer davon und zudem ehrenamtlicher Vorsitzender des Waldbesitzerverbandes Sachsen-Anhalt e.V.. Der Wald liefert Rohstoff für die Holzindustrie im Land, die jedes Jahr 6,8 Millionen Kubikmeter Holz verarbeitet. Ein Viertel davon kommt aus Sachsen-Anhalt und wenn diese Bestände bedroht sind, ist auch die Industrie darum bedroht. Der Wald ist auch ein Erholungsort und touristisch attraktiv und damit auch wieder ein Wirtschaftsfaktor. Er bindet Unmengen CO2 und ist damit ein wichtiges Instrument im Klimaschutz. Ihn zu retten, geht nur mit den Waldbesitzern.
Der Wald von Prinz zu Salm-Salm steckt voller Geschichte: Hügelgräber der Kelten, alte Grenzsteine Kursachsens, einer der ersten Braunkohletagebaue in Deutschland. Der Soziologe Elias Canetti hat 1960 geschrieben „In keinem modernen Lande der Welt ist das Waldgefühl so lebendig geblieben wie in Deutschland.“ Vielleicht ist uns dieses Waldgefühl inzwischen etwas verloren gegangen. Ein jährlicher Waldtag im Landkreis könnte helfen, es wieder zu wecken.
Douglasien oder Windräder? Beides Lösungen für die Kahlfläche, beides umstritten. Salm-Salm zum Vandalismus an der Einfassung der Wilhelmsgrubenquelle: „Das machen wir neu.“ Mein Ziel: Ein Landrat sein, der sich mit den Waldbesitzern um den Wald kümmert.
Noch eine Herausforderung: Brandschutz
Wir sind zwei Stunden im Wald. Ich lerne, wie man mit Schafwolle Bäume schützen kann, dass Wald nur an Wald wächst, was Naturverjüngung ist und ich sehe die Auswirkungen des Kieferntriebsterbens – einem Pilz, der zu ähnlichen Schadbildern führt wie der Borkenkäfer. Auf dem Rückweg aus dem apokalyptischen Märchenwald macht der Vorsitzende des Waldbesitzerverbandes noch auf etwas aufmerksam. „Hier kommt keine Feuerwehr mehr durch.“ sagt er während die Äste quietschend an seinem Geländewagen kratzen. Ein Lösungsweg wäre „Flurbereinigungsverfahren zum Waldwegebau“ – und schon wieder habe ich ein To-Do auf meiner Liste der Dinge, die ich angehen sollte, wenn ich Landrat werde. Wenn. Am 6. Juni sind Wahlen.